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„Verschieben ist verschärfen“ – Hedwig Richter bei Carolin Emcke über die Demokratie in der Klimakrise

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Anfang des Jahres war es erstmals so weit: An zwölf aufeinander folgende Monaten war es mehr als 1,5 Grad wärmer als im vorindustriellen Zeitalter. Forscher des „Global Carbon Project“ haben berechnet, wie viel Zeit beim aktuellen Ausstoß von Treibhausgasen noch bliebe, bis das CO₂-Budget für das 1,5-Grad-Ziel restlos aufgebraucht wäre: sieben Jahre. Viel Zeit bleibt laut den Forschern also nicht, um die Gesellschaft klimaneutral umzubauen. Aber: Politische Willensbildung, Wahlen, Gesetzgebungsprozesse – bis aus einer Idee politisches Handeln wird, dauert es lange. Es scheint, es sei ein Widerspruch zwischen Klimaschutz und Demokratie entstanden. Wie ist es möglich, beides zu erhalten: Klima und liberale Demokratie? Darüber spricht Carolin Emcke in dieser Folge von „In aller Ruhe“ mit der Historikerin und Buchautorin Hedwig Richter.

Hedwig Richter, 1973 geboren, ist seit 2019 Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Sie hat Geschichte, Germanistik und Philosophie in Heidelberg, an der Queen’s University Belfast und an der Freien Universität Berlin studiert. 2008 hat sie an der Universität zu Köln promoviert, 2016 folgte die Habilitation an der Universität Greifswald. Ihre Dissertationsschrift „Pietismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR“ wurde mit dem Offermann-Hergarten-Preis der Universität zu Köln ausgezeichnet. Richters Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in der Demokratie- und Diktaturforschung. Gemeinsam mit dem Journalisten Bernd Ulrich hat sie 2024 „Demokratie und Revolution – Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit“ publiziert.

Demokratie in der Krise? „Das gehört dazu“

In ihrer bisherigen Demokratieforschung habe die Entwarnung immer dazu gehört, sagt Richter. Zum Beispiel beim Thema Polarisierung: „Man muss sich nur daran erinnern, dass es in den 1950er-Jahren fast undenkbar war für ganz viele, dass eine Katholikin einen Protestanten heiratet.“ Viele der Probleme und Krisen, die in einer Demokratie immer wieder neu entdeckt würden, seien vorher auch schon da gewesen. „Ich würde sagen: Demokratien sollen sich immer ein bisschen in der Krise fühlen – das gehört mit dazu.“

Durch die Beschäftigung mit der Klimakrise habe sich ihr Blick auf das Jetzt allerdings verändert: „Wir sind tatsächlich in einer völlig neuen Situation“, sagt Richter. Mit Blick auf die erheblichen Umwälzungen, die die Klimakrise auslösen könnte – Massenmigration, ökologische Kipppunkte, Extremwetter: „Das finde ich verstörend.“ Durch die Beschäftigung mit der Klimakrise habe sich auch in ihrem Alltag viel geändert: „Meine Normalität hat sich in eine andere Normalität gewandelt.“ Denn die Krisen und Ängste der Vergangenheit seien nicht vergleichbar mit der Klimakrise. War im Kalten Krieg ein Tag, an dem nichts passierte, ein guter Tag, sei das jetzt anders: „Jeden Tag, an dem wir nichts machen, wird es schlimmer. Verschieben ist verschärfen.“ Deshalb schmerze die jahrzehntelange Untätigkeit: „Wenn wir in den Neunzigerjahren angefangen hätten, müssten wir heute nicht so viel und so radikal umstellen“, sagt Richter.

„Wir brauchen eine neue Radikalität“

Doch diese nun geforderte Radikalität widerspreche dem, „was wir aus dem 20. Jahrhundert gelernt haben.“ Denn gesellschaftlich habe man sich auf ein demokratisches Selbstverständnis verabredet, dass sich so zusammenfassen lässt: „Wir wollen keine Radikalität mehr, wir brauchen Kompromisse.“ Um aber die Klimakrise zu bewältigen, „brauchen wir eine ganz neue Zeitlichkeit, eine völlig neue Radikalität“. Wichtig sei dabei, dass diese Radikalität vor allem von den „oberen Zweidritteln“ der Gesellschaft komme. Das untere Drittel lebe – bezogen auf den CO₂-Ausstoß – ohnehin so, dass es mit dem Pariser Klimaabkommen im Einklang sei.

Wie stellt sich Hedwig Richter diese neue Radikalität vor – und was wünscht sie sich von Politik und Bürgern? Was hat die Klimakrise mit Diagnosen amerikanischer Psychotherapeuten zu tun? Das hören Sie in der neuen Folge von „In aller Ruhe“.

Hedwig Richter empfiehlt:

Hedwig Richter empfiehlt den Film: „Morgen ist auch noch ein Tag“. Der Film begleitet 1946 eine Frau in Rom, die ihre Rolle in ihrer Familie und der Gesellschaft findet und definiert. Für Hedwig Richter ein „unfassbar interessanter“ Film. Die Historikerin beschäftige sich in ihrer Forschung auch mit der Rolle und Bedeutung der „Hausfrau“. Der Film zeige die Ambivalenz „von der Unterdrückung dieser Frauen, von der Machtlosigkeit, aber auch von der Agency, die sie sich zuschreiben.“

Moderation, Redaktion: Carolin Emcke

Redaktionelle Betreuung: Johannes Korsche, Léonardo Kahn

Produktion: Imanuel Pedersen

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Hedwig Richter, 1973 geboren, ist seit 2019 Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Sie hat Geschichte, Germanistik und Philosophie in Heidelberg, an der Queen’s University Belfast und an der Freien Universität Berlin studiert. 2008 hat sie an der Universität zu Köln promoviert, 2016 folgte die Habilitation an der Universität Greifswald. Ihre Dissertationsschrift „Pietismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR“ wurde mit dem Offermann-Hergarten-Preis der Universität zu Köln ausgezeichnet. Richters Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in der Demokratie- und Diktaturforschung. Gemeinsam mit dem Journalisten Bernd Ulrich hat sie 2024 „Demokratie und Revolution – Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit“ publiziert.

Demokratie in der Krise? „Das gehört dazu“

In ihrer bisherigen Demokratieforschung habe die Entwarnung immer dazu gehört, sagt Richter. Zum Beispiel beim Thema Polarisierung: „Man muss sich nur daran erinnern, dass es in den 1950er-Jahren fast undenkbar war für ganz viele, dass eine Katholikin einen Protestanten heiratet.“ Viele der Probleme und Krisen, die in einer Demokratie immer wieder neu entdeckt würden, seien vorher auch schon da gewesen. „Ich würde sagen: Demokratien sollen sich immer ein bisschen in der Krise fühlen – das gehört mit dazu.“

Durch die Beschäftigung mit der Klimakrise habe sich ihr Blick auf das Jetzt allerdings verändert: „Wir sind tatsächlich in einer völlig neuen Situation“, sagt Richter. Mit Blick auf die erheblichen Umwälzungen, die die Klimakrise auslösen könnte – Massenmigration, ökologische Kipppunkte, Extremwetter: „Das finde ich verstörend.“ Durch die Beschäftigung mit der Klimakrise habe sich auch in ihrem Alltag viel geändert: „Meine Normalität hat sich in eine andere Normalität gewandelt.“ Denn die Krisen und Ängste der Vergangenheit seien nicht vergleichbar mit der Klimakrise. War im Kalten Krieg ein Tag, an dem nichts passierte, ein guter Tag, sei das jetzt anders: „Jeden Tag, an dem wir nichts machen, wird es schlimmer. Verschieben ist verschärfen.“ Deshalb schmerze die jahrzehntelange Untätigkeit: „Wenn wir in den Neunzigerjahren angefangen hätten, müssten wir heute nicht so viel und so radikal umstellen“, sagt Richter.

„Wir brauchen eine neue Radikalität“

Doch diese nun geforderte Radikalität widerspreche dem, „was wir aus dem 20. Jahrhundert gelernt haben.“ Denn gesellschaftlich habe man sich auf ein demokratisches Selbstverständnis verabredet, dass sich so zusammenfassen lässt: „Wir wollen keine Radikalität mehr, wir brauchen Kompromisse.“ Um aber die Klimakrise zu bewältigen, „brauchen wir eine ganz neue Zeitlichkeit, eine völlig neue Radikalität“. Wichtig sei dabei, dass diese Radikalität vor allem von den „oberen Zweidritteln“ der Gesellschaft komme. Das untere Drittel lebe – bezogen auf den CO₂-Ausstoß – ohnehin so, dass es mit dem Pariser Klimaabkommen im Einklang sei.

Wie stellt sich Hedwig Richter diese neue Radikalität vor – und was wünscht sie sich von Politik und Bürgern? Was hat die Klimakrise mit Diagnosen amerikanischer Psychotherapeuten zu tun? Das hören Sie in der neuen Folge von „In aller Ruhe“.

Hedwig Richter empfiehlt:

Hedwig Richter empfiehlt den Film: „Morgen ist auch noch ein Tag“. Der Film begleitet 1946 eine Frau in Rom, die ihre Rolle in ihrer Familie und der Gesellschaft findet und definiert. Für Hedwig Richter ein „unfassbar interessanter“ Film. Die Historikerin beschäftige sich in ihrer Forschung auch mit der Rolle und Bedeutung der „Hausfrau“. Der Film zeige die Ambivalenz „von der Unterdrückung dieser Frauen, von der Machtlosigkeit, aber auch von der Agency, die sie sich zuschreiben.“

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